Beitrag vom 01.11.2024

Ehrlichkeit

Ich habe die Tage sehr intensiv darüber nachgedacht, ob es wirklich richtig ist, immer öfter meine Meinung zurückzuhalten, wenn ein Thema angesprochen wird, zu dem ich eine andere Meinung habe, als mein Gesprächspartner. Prompt entdecke ich „zufällig“ ein Video mit Jens Lehrich und Bernd Osterhammel zu diesem Thema. Es ist faszinierend, wie seit einiger Zeit, sich immer dann, wenn ich mich mit einem Thema intensiv beschäftige, sehr zeitnah etwas dazu Passendes meinen Weg kreuzt. 

In diesem Video wird z.B. darüber gesprochen, ob es richtig ist, im Restaurant zu sagen „Ja, danke, es war alles gut“, obwohl es nicht so war und man schon beschlossen hat, dieses Restaurant nicht wieder zu betreten. Wenn die meisten Gäste sich so verhalten, geht das Restaurant davon aus, dass die Gäste mit allem zufrieden sind. Das Restaurant hat keine Chance, seine Leistungen zu verbessern, damit die Gäste auch wiederkommen. Das Verhalten der Gäste halte ich für unehrlich und kontraproduktiv. Sehr oft habe ich mich genauso verhalten und übe seit einiger Zeit, ein ehrliches Feedback zu geben. 

Worüber ich auch schon öfter mit anderen diskutiert habe:  Soll man ansprechen, dass mich ein bestimmtes Verhalten an jemandem stört? Meine Antwort:  definitiv ja. Zumindest dann, wenn ich mit diesem Menschen in einer engeren Beziehung (Partnerschaft, Freundschaft oder Familie) stehe und diese gerne weiterführen möchte. Wenn ich da nicht ehrlich bin, ist das ziemlich unfair. Der Andere denkt alles ist in Ordnung, bekommt keine Chance etwas zu ändern, in mir wächst immer mehr Groll, die Distanz zwischen uns beiden wird immer größer und die Beziehung kann daran zerbrechen. 

Ein weiteres Thema in diesem Video war dann die Frage, ob es Sinn macht, besser den Mund zu halten, wenn ein Gespräch auf ein Thema kommt, zu dem man eine andere Meinung hat oder ob es nicht ehrlicher wäre, seine Meinung offen zu sagen.

Genau mein Thema 😊

In den letzten Jahren wurde es für mich immer schwieriger, eine gegenteilige Meinung zu äußern. Sehr schnell wurde ich unterbrochen, in eine Ecke gestellt, in die ich nicht gehöre, teilweise sogar beschimpft. Ich habe mir irgendwann angewöhnt, meinen Mund zu halten. Ich bemerke jetzt aber immer mehr, dass mir das nicht guttut. Es ist schade, dass ich nur noch mit sehr wenigen Menschen ein offenes Gespräch führen kann. Es ist doch bereichernd und interessant auch andere Sichtweisen zu hören. Es ist schön, zu spüren, dass man anerkannt wird auch wenn man eine andere Meinung hat. Ich empfinde es als sehr unbefriedigend, wenn ich mich nur noch oberflächlich mit jemandem unterhalten kann. Ein echtes Gespräch über die verschiedenen Perspektiven eines Themas führen zu können, halte ich für wichtig und es erweitert ja auch den Horizont. Leider schaffe ich es aufgrund meiner negativen Erfahrungen in den letzten Jahren nicht mehr, mich auf ein solches Gespräch einzulassen. 

Im genannten Video waren beide auch erst gegensätzlicher Meinung. Einer sagte, „es bringt doch nichts, wenn ich meine Meinung sage. Ich habe aufgegeben“ Am Ende haben sich beide vorgenommen, den Mut dazu immer mal wieder aufzubringen. Selbstverständlich geht es nicht um Recht haben, missionieren, überreden wollen u.ä. Mir geht es auch nicht darum. Jeder darf seine Meinung haben und behalten – auch ich. Es geht mir um einen sachlichen und wertschätzenden Austausch, um ein offenes und ehrliches Gespräch. Da jeder ein Thema aus einer anderen Perspektive betrachtet, bringt doch auch jeder Gedanken ein, die der andere vielleicht noch nie hatte. Darüber kann man nachdenken, etwas dazu lernen und/oder evtl. seine Meinung  – zumindest ein wenig 😊 - ändern. 

Nun, wie immer sind natürlich beide Seiten beteiligt. Jemand unterbricht mich und signalisiert mir, dass ich völlig danebenliege mit meiner Meinung und ich lasse es zu. Warum? Genau wie im Video erwähnt, dachte ich mir, „Lass gut sein, halte Deinen Mund, dann musst Du Dir nicht noch mehr Beschimpfungen anhören“. Immer wieder muss ich mir bewusstmachen, dass ich, wie alle anderen Menschen auch, meine Meinung haben und äußern darf. Meine Weigerung, mich der allgemeinen Meinung anzuschließen und mein darauffolgender Rückzug, haben zu größerer Distanz zu vielen Menschen geführt. Die Liste mit „Tabuthemen“ über die ich nicht mehr frei reden kann, wird immer länger, was bleibt ist oberflächliche Unterhaltung. Ich fühle ich mich so nicht wohl, ich halte es für unehrlich und mir fehlen echte Gespräche. Mir ist klar, wenn ich mir in meinem Leben eine Änderung wünsche, dann muss ich selbst aktiv werden. Ich habe mir vorgenommen, künftig immer mal zu üben, meine Meinung zu sagen.

Das Video hat mir Mut gemacht, diesen Beitrag zu schreiben. Ich schreibe hier von meinen persönlichen Gedanken und Gefühlen und ich habe das Gefühl, jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür. 

Hier noch der Link zum og Video: https://www.youtube.com/watch?v=-IDxuUCxqbk